Auszug aus dem Interview März 1984 mit Reinhard Blomert & Eberhard Knödler-Bunte

 

NE:    (Ja, Richard) Hönigswald, den ich sehr schätzte, und immer noch sehr sehr schätze. Weil ich (durch ihn) das kantische Apriori (kennenlernte). Im Laufe der Arbeit an meiner Doktorarbeit wurde mir (aber) klar, daß etwas mit dem kantischen Apriori nicht stimmt, weil Kant ja Begriffe wie Kausalität oder Substanz von anderen gelernt haben muß. Es ist ja unsinnig zu sagen, daß das a priori angelegt ist, denn (zumindest) er (Immanuel Kant) hat ja die Begriffe gelernt. Also, es war mir schon bei der Doktorarbeit klar, daß man solche Probleme nur als Prozess sehen kann. Woher ich (schon damals) diese tiefe Überzeugung (...) (bezogen habe, ist mir derzeit nicht ganz klar).

RB:   Das IST (aber) Ihre Doktorarbeit !!? (zeigt NE eine Kopie des vollständigen Exemplars aus der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin)

NE:    Meine Doktorarbeit ist da?

RB:   Ja, ich habe sie gefunden!

NE:    Ja, das ist ja ganz großartig!

EKB: Den Auszug kannte ich, aber nicht diese lange (Version).

NE:    Denken Sie an! Das ist ja nun ganz großartig. Das heißt (aber auch): ich war eigentlich ganz glücklich, das sie verloren gegangen ist (...).

RB:   Ich habe sie in der Staatsbibliothek in Berlin gefunden.

NE:    Denken Sie an. Na (ja), das ist ja eine richtige "trouvaille" (= Fundstück)! Ja, nun muss ich also dazu sofort sagen, daß (Richard) Hönigswald mich (zur Revision) gezwungen hat; sich geweigert hat, sie zu akzeptieren, weil ich das Apriori nicht mitmachte; und so, wie sie jetzt steht, ist sie eigentlich nicht ganz das, was ich will. Ich weiß nicht, wo ich die Konzessionen gemacht habe, aber ich mußte Konzessionen machen, damit er mir den Doktor durchgehen läßt. Ich werde mich jetzt gelegentlich (blättert in der Arbeit) (...) (Pause). Ist ja sehr hübsch, sehr hübsch. Denken Sie mal an, die war in der Staatsbibliothek (...).

EKB: Wir können ja eine Kopie machen.

RB:   Sie haben das ja sicher selber. 

NE:    Ich habe es nicht! 

RB:   Sie haben es nicht? 

NE:    Nein. Ich habe nur den (...) gedruckten Auszug. 

RB:   Dies hier (überreicht die Kurzfassung der Dissertation von 1924)? 

NE:    Ja, das habe ich (Pause, blättert). Ich muß sagen: es ist ja schrecklich, daß diese Arbeit (nunmehr ganz) da ist! 

EKB: Ja, die deutschen Bibliotheken sind halt gründlich! 

NE:    (lacht) Denken Sie. mal an! (...) Würden Sie so gut sein und mir auf meine Kosten (...) (eine Kopie anfertigen)?

RB:   Ja, gerne, (aber) auf unsere Kosten!

NE:    (blättert weiter) Ja, das habe ich gesehen (Pause) (...). Und da habe ich gefunden, daß die Konzession im letzten Satz da ist, wo ich sage, daß die Geltung aber selbstverständlich außerhalb des Historischen ist. Nicht wahr, das ist natürlich nicht, was ich glaubte! Also hier - ich weiß nicht, wo es ist - habe ich ihm also (etwas) gegeben, was natürlich für meine Begriffe völlig unsinnig ist: daß der Begriff der Geltung (...) etwas jenseits des Prozesses Stehendes ist. Also, wenn Sie mich fragen, ich habe keine klare Erklärung dafür, warum das Prozessdenken schon so früh da war, schon in der Doktorarbeit!

Quelle: Interview mit Norbert Elias (NE), Amsterdam, 11.März 1984; Interviewer: Reinhard Blomert (RB), Eberhard Knödler-Bunte (EKB); digitale Transkription des Interviews (Red.: Ingo Mörth) = Fulltext-ger-1984-I-ger-2 (nur auf Anfrage).