Norbert Elias
AN DIE FREUDE
dein niemals genug geküßtes Gesicht
sachte sachte
erst die Winkel des Mundes
leise vom Rand der Lippen
vortastend
wie der Flügelschlag der Vögel
auf und ab
über dem Brunnenrand
noch zögernd sich zu tränken
scheuend
noch nicht
Verkündigung
erst noch die Augen
Pforten der Verschmelzung
und weich hinstreift durch sanfte Gräser der Fuß
am Rand des dürstenden Brunnens
und die Sträucher
wölben den Händen
ihre duftenden Früchte entgegen
die Wiesen dürsten
Lippen begierige wartet noch
die kleinen
Muscheln wollen das ihre
und das zärtliche des Kinns
dann in die Bucht des Halses einzutauchen
wie Windstoß
daß ein Schauer
über das reifende Kornfeld geht
Vorbote des Gewitters
in den Tiefen
der verborgene Halbgott
wacht aus dem Schlaf
mit gehobenem Haupt
sucht er im dunklen Korn der schwsellenden Knospen
Aufbruch
wende dich und wehre
schließ die begehrenden Lippen
der zärtliche Ingrimm steigt
zum Raubtier ohne Gnade
grollend stößt der zornige Gott
ins Horn
Hügel und Täler
zittern im nahenden Gewitter
der stürmischen Zungen Flügelschlag
stachelt
und zündet
die zuckenden Blitze
der Entzückung
und im Wirbel
Paukenschlags
zündet der Einschlag
zum Bruch der Dämme
Flut des feurigen Regens
der Trommelwirbel
Sturmlied
gefeiert
Mund auf Mund
vom Grund des Gaumens
zu den Wurzeln der Lust
während auf den Wellen gepeitscht von Gischt
Engel einherziehn singend
und verebbend
von Leib zu Leib
dein niemals genug geküßtes Gesicht
wie Flügelschlag wiegender Vögel
noch zögernd
sachte sachte
in der Tiefe
tönt es wieder
das bebende Dur
bacchantische Flöte
über dem lockenden Wellenmeer
(Es ist dies die erste Gedichtveröffentlichung gewesen, 1981, die der bekannte Soziologe im hohen Alter unternommen hat.)
entnommen aus der Taschenbuchausgabe (H. Kinder (Hg.): Die klassische Sau, Goldmann Verlag, München 1989, S. 475-477)